The Removed Generation | Ein Gastbeitrag von HORSEFOLK | Andrea Kerssenbrock
Jetzt sind sie alle weg, die Bereiter und Oberbereiter der Generation „Alte Meister“. Verdient die Spanische Hofreitschule das Prädikat immaterielles Kulturerbe der UNESCO noch? Und: Wird die Spanische Hofreitschule überhaupt noch gebraucht?
Mit Oberbereiter Andreas Hausberger verliert die Spanische Hofreitschule den letzten in alter Tradition* ernannten Oberbereiter. Langsam wird es auch quantitativ eng mit dem reitenden Personal. Die Qualität der Ausbildung schlingert ohnehin schon seit geraumer Zeit durch den Sand der wohl „schönsten Reithalle der Welt“. Eine ganze Reihe von Persönlichkeiten der Reitbahn steht dieser nicht mehr zur Verfügung. Es sind Ausbilder und (Ober-) Bereiter, die im internationalen Dressursport und in der Pferdewelt hoch angesehen sind. Ihre Ausbildungserfolge spiegeln sich in Medaillen wider – national, international und olympisch.
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Vielleicht ist es aber gar nicht so dramatisch. Es könnte schlicht ein Zeichen der Zeit sein, die klassische Ausbildung von Pferden und Reitern künftig außerhalb der Hofburg zu platzieren. Die lange und ernsthafte Auseinandersetzung mit den Kriterien der klassischen Reitkunst war stets das wesentliche Merkmal der Spanischen Hofreitschule. Doch wer von Kunst nichts versteht, kann diese auch nicht kuratieren. Da mag der wirtschaftliche Auftrag noch so groß sein.
Was wäre die Albertina ohne Klaus Albrecht Schröder, das Kunsthistorische Museum ohne Sabine Haag, das Burgtheater ohne Martin Kušej oder das MAK ohne Lilli Hollein? Niemand würde einem Gemälde, einer Kunstsammlung oder einem Schauspieler einen Direktor zumuten, der nicht vom Fach ist. Das war früher auch in der Spanischen Hofreitschule so. Im Pferdeland Deutschland ist es bis heute so. Ob Astrid von Velsen-Zerweck im Gestüt Marbach, Felix Austermann im Landgestüt Warendorf oder Soenke Lauterbach als Generalsekretär der deutschen FN – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen –, sie alle sind Experten der Zucht und / oder der Ausbildung.
Immaterielles UNESCO Kulturerbe
„Die ursprünglich höfische Tradition hat die verschiedenen politischen Systeme und Umbrüche in Österreich unbeschadet bis in die Gegenwart überstanden. Seit 2001 ist die klassische Reitkunst ausdrücklich als eine im öffentlichen Interesse gelegene Aufgabe der Spanischen Hofreitschule festgeschrieben“, schreibt die UNESCO auf ihrer Seite. Das Wort „unbeschadet“ kann man nun ersatzlos streichen. “Die Aufgabe im öffentlichen Interesse” wird nicht erfüllt.
Ausbildungszeiten lassen sich nicht abkürzen und Blender fliegen irgendwann auf. „Das Pferd bestimmt die Dauer der Ausbildung“, war DER Leitsatz der Spanischen Hofreitschule. Doch wenn die Geschäftsführung hauptsächlich damit befasst ist, den Schein aufrechtzuerhalten, ist das zutiefst unprofessionell und zum Schaden aller. Die Essenz dessen, was Oberbereiter Hausberger in seinem Brief als „Abwärtsspirale“ anspricht, hat nicht erst gestern begonnen. Seit Jahren beobachten Pferdefachleute mit Sorge, wie die Spanische zu einem beliebigen Ponyhof verkommt. Das Zitat „Jedes Schulkind soll zumindest einmal in der Spanischen Hofreitschule gewesen sein“, wurde gleich von zwei Geschäftsführern strapaziert.
Was sich immaterielles Kulturgut nennen darf, den Staat dabei nichts kosten und eine – ebenfalls von der UNESCO ausgezeichnete – Pferdezucht aufrechterhalten soll, kann letztlich nur scheitern. Wurde über die Ausgliederung und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Auftrag in der Vergangenheit genug gejammert, so geht es derzeit vor allem um fachliche Kompetenz. Die konnte man zumindest der ersten Frau an der Spitze der Spanischen nicht absprechen. Sie ritt erfolgreich Dressur bis zur Klasse S und kannte die Geschichte der Spanischen Hofreitschule lange bevor sie zur Geschäftsführerin bestellt wurde. Doch auch sie war der Aufgabe nicht gewachsen, das Unternehmen in die Gewinnzone zu führen. Vielmehr ließ sie sich auf ein betriebswirtschaftliches Spiel mit mehr Vorführungen ein, das die Ausbildungszeit der Hengste zumindest teilweise verkürzte.
Ihre Nachfolgerin war zwar nicht ganz so firm in Sachen Dressurlektionen, dafür pfiff sie auf Traditionen und Reitkunst, ernannte Oberbereiter höchstselbst und war gerne für Personalrochaden zum Wohle des Freundeskreises zu haben. Mag sein, dass dies die Abwärtsspirale beschleunigt hat, aufzuhalten war sie ohnehin nicht mehr. Mit dem aktuellen Geschäftsführer haben wir jemanden an der Spitze der Spanischen Hofreitschule, der sich immerhin mit Flaschen auskennt, hat er diese doch bis vor kurzem mehr oder weniger erfolgreich vermarktet.
Es stellt sich nun die grundsätzliche Frage, warum jemand, der nicht vom Fach ist, in eine derart spezifische Position bestellt wird. Wohlgemerkt in einer Kultureinrichtung, die – ausgerechnet! – dem Landwirtschaftsministerium unterstellt ist. Dieses ist bekanntlich vor allem mit der Wertschöpfung von Nutztieren betraut und wenig mit jener des Reitens. Folglich schnappte sich dereinst auch der jüngste aller Bundeskanzler frech und frei eines der edlen „Nutztiere“ und schenkte es dem Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate. Die Schlagzeile saß, der Boulevard war glücklich.
Vielleicht aber ist es viel einfacher und die aktuelle Geschäftsführung wurde explizit bestellt, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Denn für viele, auch Pferdemenschen, stellt sich ohnehin die Frage, ob es für das bisschen Reiten tatsächlich Pferde in der Innenstadt braucht. Oder ob es nicht auch ein paar Zirkuspferde täten, um den Touristen gerecht zu werden. Lipizzaner, Sisi und Sängerknaben, das unschlagbare Marketingtrio zum Sonderpreis.
Für die klassische Reitausbildung der Lipizzanerhengste könnte das Trainingszentrum Heldenberg herhalten. Der Standort ist nicht weit von Wien. Die Pferdezucht im Gestüt Piber ist ohnehin vorbildlich und ein echtes Aushängeschild. Da wie dort könnte sich die internationale Reiterwelt treffen, Wissen austauschen und in Lehrgängen weitergeben. Man könnte die Besten der Besten einladen, die Alten und die Jungen, Meister und *innen. Vielleicht kommen dann sogar jene Dressurreiterinnen und -reiter, die in der Vergangenheit vom Wissen der Oberbereiter und Bereiter profitiert haben, Olympiagold inklusive. So ist es noch gar nicht lange her, als im Jahr 2017 gleich drei Olympiasiegerinnen in der Spanischen Hofreitschule zu Gast waren: Charlotte Dujardin, Elisabeth Max-Theurer und Christine Stückelberger trafen mit Prinzessin Anne zusammen. Auch wenn der Glanz der alten Zeiten damals schon zu bröckeln begann, so war der Schaden in seiner jetzigen Dimension nicht vorhersehbar.
Verlorenes Wissen
Pferdemenschen, deren Expertise der Spanischen Hofreitschule seit deren Ausgliederung nicht mehr zur Verfügung steht (in chronologischer Reihenfolge):
- Erster Oberbereiter Arthur Kottas-Heldenberg (vorzeitige Pensionierung)
- Erster Oberbereiter Klaus Krzisch (dienstfrei gestellt)
- Oberbereiter Johann Riegler (dienstfrei gestellt)
- Obergestütsmeister Leo Weiss
- Reitmeister Ernst Bachinger (Leiter der Reitbahn, Pensionierung)
- Oberstallmeister Johannes Hamminger (Pensionierung)
- Pferdefachtierarzt Dr. Georg Hladik
- Gestütsleiter Dr. Max Dobretsberger
- Bereiter Herwig Radnetter (admin. Leiter der Reitbahn, dienstfrei gestellt)
- Schmiedemeister Karl Jänicke
- Stallmeister Lars Peters
- Erster Oberbereiter Wolfgang Eder (vorzeitige Pensionierung)
- Bereiter Jochen Rothleitner
- Oberbereiter Andreas Hausberger (dienstfrei gestellt)
* Die Tradition der Spanischen Hofreitschule sieht vor, dass ein Oberbereiter nur werden kann, wer sich durch überragende Ausbildungsleistung einen Namen macht. Untadeliges Auftreten soll ebenfalls seine Berücksichtigung finden. Ernannt wurden Oberbereiter bis ins Jahr 2019 ausschließlich von ranghohen Vertretern der Reitbahn, diese waren in der Regel ebenfalls Oberbereiter.
Andreas Hausberger war der ranghöchste Oberbereiter in der Reitbahn. Er sollte traditionsgemäß nach Pensionsantritt seines Vorgängers zum Ersten Oberbereiter bestellt werden, was nicht umgesetzt wurde. Seit 7. März 2023 ist Hausberger dienstfrei gestellt und mit einem Betretungsverbot belegt.
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