Gestern standen wir noch am Abgrund. Sind wir heute bereits einen Schritt weiter?
Viele Leute, mit denen ich in den letzten Tagen gesprochen habe, sind froh, dass die FEI World Cup™Driving Saison
2022 / 2023 zu Ende ist. Sie war besonders anstrengend. Nicht nur für die Fahrer und die Pferde, sondern auch für diejenigen, die wir immer noch als Fahrsportfans bezeichnen dürfen.
Die Bilder der Outdoor Turniere haben uns teilweise wieder unserem Fahrsport näher gebracht. Gute Vorstellungen in der Dressur, schnelle aber –zumindest teilweise- gut kalkulierte Geländefahrten und eine sichere Hand der Fahrer im Kegelparcours waren im Vergleich zu den Vorjahren wieder öfters zu sehen.
Schließlich sind die von der FEI vorgegebenen Änderungen noch in weiter Ferne und außerdem zum Teil –zumindest was die unwesentlichen Dinge betrifft- bereits wieder zurückgenommen. Leider weiter rückläufig waren allerdings die Besucherzahlen, sowohl national als auch international. Es kommt hier der Verdacht auf, dass es sich bei der seit Jahren gebetsmühlenartig verbreiteten Kunde vom einer durch die Indoorsaison stark zunehmenden Besucherzahl im Freiland entweder um ein Ammenmärchen oder eine bewusst gefakte Aussage handelt.
Ungebrochen im Gegensatz dazu die Zuschauer bei den Wagenrennen in der Halle. Weil ohnehin schon da und zu lautem Gegröhle mehr oder weniger fach- und sachkundig animiert, kann man dort seinen Gefühlen so richtig freien Lauf lassen. In der Hoffnung, dass es doch einmal einen so richtig umlegt. So wie etwa beim Abfahrtsrennen der Skifahrer oder bei der Formel 1 in der Startphase. Und diejenigen, die nach der Startphase abschalten, weil danach ohnehin kaum noch etwas passiert, sitzen auch das Hallenrennen aus, denn bei so wenig Gespannen ist es ja auch schnell vorbei und wird nicht langweilig. Aber es gibt einfach einen ganz entscheidenden Unterschied: Hier fährt man nicht einen Haufen Blech und Karbon zu Schrott, hier bringt man sich zu Gunsten der ultimativen Adrenalin Ausschüttung nicht selbst in Gefahr, sondern hier kommen Lebewesen zum Einsatz! Wenn dann auch noch eine Kommentatorin blumig verkündet, dass die Pferde ihren Job lieben und die Atmosphäre genießen, kann man sich über den Pferdeverstand dieser Leute nur noch wundern – oder man muss einfach feststellen, dass versucht wird, die für jeden Insider sichtbaren Probleme ganz bewusst und absichtlich zu verleugnen.
Wenn man mit den Besuchern der Indoor Shows spricht, schlägt einem buchstäblich die Begeisterung für diesen Pausenfüller entgegen. Nahezu alle bewundern die Geschwindigkeit und sind mit den Augen abwechselnd bei der Uhr und bei den driftenden Wagen. Kaum einer erwähnt die Pferde und den Fahrer, wenn überhaupt dann den Beifahrer, der sich besonders publikumswirksam in die Kurve legt. Perfekt wird die Show, wen die aufgestellten Hinderniselemente im hohen Bogen davonfliegen oder wenn zum Schluss noch einer aus lauter übermütiger Freude vom Wagen springt. Weniger beachtet wird dagegen, wie sich die Vorderpferde mit weit aufgerissenen Mäulern und hoch konzentrierten Augen (trotz gut sitzendem Sperrriemen und eng anliegender Scheuklappen) optisch an die Fahrer angleichen, die ja auch den Großteil der Fahrt mit weit aufgerissenem Mund, sich überschlagender Stimme und einem zu allem entschlossenen Blick dem Erfolg mehr oder weniger hinterherjagen. Im Gegensatz zu den Pferden ist scheinbar bei den Fahrern nicht einmal ein sonst so häufig eingesetzter Nasal Strip erforderlich, damit noch genügend Luft in die Lunge gelangen kann. (Nach Herstellerangaben verhindert das Nasenpflaster das Zusammenbrechen des Gewebes über der Nase und hilft, die zerbrechlichen Blutgefäße in der Lunge vor dem Zerreißen zu schützen, beugt also Lungenblutungen vor) Überhaupt nicht beachtet werden dabei die Stangenpferde, die mit durchhängenden Leinen lediglich mit dem Motivationsstick zu den meist sehr kurzfristig anberaumten Richtungswechseln aufgefordert werden – und natürlich zum alles entscheidenden Speed!
Ganz und gar nicht einverstanden bin ich, wenn einige Leute sagen, dass es sich beim Indoor um eine Zirkusnummer handelt. Es wird schwer sein, einen Zirkusdirektor zu finden, dem die Arbeit in der Manege und das Wohl der Pferde so gleichgültig ist wie dies bei den Verantwortlichen bei FEI, FN, den Organisatoren und den Offiziellen der Fall zu sein scheint. Man darf wirklich gespannt sein, wie sich diese Sparte weiter entwickelt und wer sich gegebenenfalls seiner Verantwortung stellt und dem ungehinderten Wildwuchs die Grenzen des zumutbaren aufzeigt.
Und noch einen Punkt möchte ich heute ansprechen: In vielen Sportarten wird nach der Saison genau Bilanz gezogen, besonders wenn die vergangenen Monate nicht von absolutem Erfolg gekrönt waren. Da sucht man nach Dingen, die man hätte besser machen können, denkt über Trainingskonzepte nach und in einigen Fällen sucht man sich sogar andere Trainer. Wo offensichtlich Fehler gemacht wurden, verbessert man die Ausbildung, legt mehr Wert auf korrekte Ausführung der Aufgaben und investiert in die Nachwuchsarbeit. Beim Fahren scheint das anders zu laufen. Hier werden Anforderungen zurückgeschraubt, damit der Trainingsaufwand nicht mehr so hoch ist. Auf Korrektheit der Lektionen wird weniger Wert gelegt, die Ausrüstung wird minimiert. Und um die Jugendlichen, die nach der Geländefahrt oder dem Hindernisfahren weinend hinter einem Baum stehen, weil sie ihr Pony nur mit massiver Peitschenhilfe auf den nach einer guten Dressur erreichten vorderen Rängen halten können, wird sich schon irgend jemand kümmern – im Zweifelsfall scheiden solche mental schwachen Nachwuchsfahrer dann eben aus dem Sport aus. Sicher keine richtige Einstellung zur Nachwuchsarbeit. Wenn wir in unserem Sport Fahrer sehen wollen, die eine solide Ausbildung haben und verantwortungsbewusst mit ihrem Sportpartner Pferd umgehen, kann unser vorrangiges Bewertungsinstrument beim Nachwuchs nicht nur die Stoppuhr sein. Da muss es noch etwas anderes geben!
Da Richter und Parcourschefs langsam Mangelware werden und es an qualifizieren Ausbildern ebenfalls fehlt, werden auch hier die Anforderungen zurückgeschraubt, damit auch den weniger Begabten der Einstieg in diese unterste Stufe der Verbandshierarchie ermöglicht werden kann. Das ist auch logisch, denn wen soll man denn zur Verantwortung ziehen, wenn etwas schief läuft?
Natürlich wollen wir auch die wieder nicht vergessen, die mir bei der ganzen Sache am Wichtigsten sind: Unsere Pferde. Wenn zur Jahrtausendwende jemand behauptet hätte, dass man mit aufgekröpften und verspannten Tuigpaarden eine Dressur gewinnen oder mit sensiblen und im Gang viel zu aufwändigen Lipizzanern beim Wagenrennen siegen kann, hätte man an seinem Pferdeverstand gezweifelt. Fahren war zu dieser Zeit noch ein Spiegelbild der verschiedenen Rassen. Vom Cob über Schweres Warmblut, Friesen, Lipizzanern, Kladrubern, Orlows und Gelderländern bis zu edlen Warmblütern, Englischem Vollblut und königlichen Cleveland Bays war alles dabei. Gegenüber den heutigen Gespannen sowohl optisch als auch in Bezug auf Exterieur und Bewegungsabläufe eine Augenweide. Die heutigen Gespanne wirken dazu richtig unisono und das ist vermutlich auch für viele einfacher zu verstehen und zu bewerten. Gottseidank wissen wir aber zumindest in der Reiterei spätestens seit FRH Franziskus und TSF Dalera BB wieder, wie eine fundierte Dressur funktioniert. Ob wir diese im Fahren dringend notwendige Wende in nächster Zeit auch erleben dürfen?
Herzlichst, Euer Reiner Wannenwetsch
Wie bedanken uns bei Reiner Wannenwetsch für diesen Gastbeitrag.
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